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Gewaltfrei miteinander kommunizieren - bzw. der etwas andere Umgang mit Wut und Ärger

Grit Heyse • Apr. 21, 2021
„Jetzt hör mir doch mal zu.“
„Nein, jetzt hörst du mir mal zu.“
„Was mache ich denn hier die ganze Zeit?“
„Aber du verstehst es offenbar immer noch nicht.“
„Was gibt es denn daran nicht zu verstehen?“
„Du hörst mir einfach nicht zu.“
„Doch, irgendwie schon viel zu lange...“

Kommt Dir das irgendwie bekannt vor? Hast Du auch öfter das Gefühl mit Deinem Partner, Deinen Kindern oder anderen Bezugspersonen völlig aneinander vorbei zu reden? Wie oft fühlen wir uns missverstanden oder verstehen einfach nicht, was unser Gegenüber von uns will? Wie oft endet so eine fruchtlose Diskussion letztendlich in einem handfesten verbalen Schlagabtausch, bei dem ihr euch gegenseitig gar nicht mehr richtig zuhört? Währenddessen vielleicht sogar der eine geht oder der andere mit den Türen knallt? 
Und trotzdem landen wir in jeder neuen Diskussion in alten Kommunikationsmustern.

Warum das so ist, wie wir da raus kommen und wie wir in eine aufrichtige und wertschätzende Kommunikation kommen, also in eine gewaltfreie, möchte ich in diesem Blogbeitrag mit euch näher anschauen.


„Das größte Problem in der Kommunikation ist, dass wir nicht zuhören, um zu verstehen. Wir hören zu, um zu antworten.“ M.B. Rosenberg

Jeder von uns möchte mit seiner Meinung Recht haben. Dieses Recht haben wollen führt gemeinhin zu viel Streit. Ist der verbale Kampf, um unser Recht durchzusetzen, Kommunikation? Oder nicht doch eher ein Schlagabtausch? Was bedeutet es: Recht haben zu wollen? Hat nicht jeder einzelne Mensch aus seiner ganz individuellen Wahrnehmung heraus recht? Gibt es auf dieser Welt nicht so viele Sichtweisen und verschiedene Standpunkte wie es Menschen gibt? Und warum müssen wir dem anderen immer ein „Ja, aber...“ entgegenbringen, anstatt ein UND anzubieten? Warum nur schwarz ODER weiß? Warum nicht schwarz UND weiß?

Ist es nicht reine Energieverschwendung, dem anderen seine Meinung überstülpen zu wollen?

Und wie können wir es schaffen, den anderen und seine ganz individuelle Meinung anzunehmen, zu tolerieren und vielleicht letztendlich dadurch sogar unseren eigenen Horizont zu erweitern?

Grundsätzlich erst einmal: Wut und Ärger sind gut! Denn Wut und Ärger wollen uns etwas sagen, zeigen uns unsere Grenzen im Miteinander auf: Bis hierhin und nicht weiter. Doch leider haben wir oft gelernt unsere Wut entweder zu unterdrücken, weil wir sie nicht zeigen durften oder sie für alle Welt sichtbar herauszuschleudern, womit wir uns meist nur kurzfristig besser fühlen und den anderen völlig im Regen stehen lassen. Hinter unserer Wut steckt immer ein Gefühl. Wenn nun mein Gegenüber mit seiner Meinungsäußerung dieses Gefühl triggert, ist er nur der Auslöser, nicht aber der Verursacher. Er hat eine, meist in der Kindheit kreierte, sehr alte Wunde in mir berührt, für die aber nicht er, sondern ich zuständig bin. Deshalb ist es an mir, innezuhalten und anzunehmen: „Aha, hier werde ich wütend! Das ist aber interessant.“ Und was liegt unter dieser Wut? Denn ein Gefühl kommt selten allein. Darunter können sich weitere Gefühle wie Traurigkeit, Hilflosigkeit, Angst, Schmerz, Scham usw. verbergen. Woher kenne ich diese alten Gefühle? Und so kann ich mich auf eine Reise in meine Vergangenheit begeben, um diese Gefühle aufzulösen.



„Der häufigste Grund, warum Gespräche misslingen, ist, dass wir zu wissen meinen, was unser Gegenüber uns sagen will und ihm eine bestimmte Absicht unterstellen.“

- Nayoma de Haen-



Aber wie kann Kommunikation gelingen und wie können wir auch in angespannten Situationen Konflikte friedlich beilegen? Eine besonders wertvolle Methode ist die Gewaltfreie Kommunikation von Marshall B. Rosenberg, der sich als Psychologe zur Lebensaufgabe machte, eine neue Form der emphatischen Kommunikation zu kreieren!


Rosenberg hat herausgefunden, dass es sich in einer Konfliktsituation zwischen zwei Menschen bewährt hat, die Aufmerksamkeit auf 4 Säulen der Kommunikation zu richten:

1. Beobachtung (auf der Sachebene)

2. Gefühle (auf der Beziehungsebene)

3. Bedürfnisse (auf der Beziehungsebene)

4. Bitte (auf der handlungsbezogenen Sach- und Beziehungsebene).


Nayoma Haen und Torsten Hardieß formulierten in ihrem Buch „Gewaltfreie Kommunikation“ dazu ein sehr treffendes Beispiel, welches im folgenden für Dich zusammengefasst habe. 


“Anke erklärt ihrer Tochter Julia, wann und wo sie sich am Mittag mit ihr treffen möchte. Julia tippt währenddessen in ihr Handy. Als Anke fragt: „Meinst du, du findest das?“, antwortet Julia: „Was hast du gerade gesagt?“ Anke atmet erst einmal tief durch. Ihr ist bewusst, dass niemandem damit geholfen ist, wenn sie Julia anfährt, deshalb verzichtet sie auf die Antwort, die ihr auf der Zunge liegt. Sie merkt, dass es ihr unter ihrer Genervtheit gerade v. a. um Klarheit und effiziente Verständigung geht. Als ihr das klar wird, fühlt sie sich ruhiger. Sie macht sich bewusst, dass Julia sich nicht so verhält, weil sie sie ärgern will, sondern weil unter ihren Freundinnen gerade ein lustiger Austausch stattfindet. Das kann Anke verstehen. Jetzt kann sie sich Julia ruhig und klar mitteilen:


1. Beobachtung: Der Bezugspunkt, der Auslöser

In Abgrenzung von Bewertungen („Wie unhöflich!“) und Verallgemeinerungen („Du hörst nie zu.“) beginnt sie mit dem faktischen Geschehen, damit Julia weiß, worauf sich ihre Reaktion bezieht: „Wenn ich höre, dass du nicht mitgekriegt hast, was ich sage...“


2. Gefühle: Die emotionale Reaktion

“... werde ich unruhig und ungeduldig...“ Sie versucht, in die Benennung ihrer Gefühle keine Interpretationen wie „Ich bin dir wohl egal“ zu mischen, da diese bei Julia leicht als Schuldzuweisung ankommen.


3. Bedürfnisse: Das eigentliche Anliegen

“... weil ich Klarheit darüber brauche, wie wir uns treffen wollen, und weil mir wichtig ist, gehört zu werden.“ Der Kern der Mitteilung sind die Bedürfnisse. Indem Anke sagt, worum es ihr eigentlich geht (z.B. Klarheit und Verständigung), kann sie sich mitteilen, ohne ihr Gegenüber anzugreifen oder infrage zu stellen.


4. Bitte: Was könnte jetzt konkret helfen, zu bekommen, was ich brauche?

Sie bittet Julia um eine konkrete, jetzt durchführbare Handlung, deren Zweck Julia nachvollziehen kann. Zum Beispiel: „Könntest du das Handy bitte beiseitelegen, bis wir geklärt haben, wo wir uns treffen?““ 

Wir sollten also einerseits wertschätzend mit uns selbst kommunizieren, unsere eigenen Bedürfnisse kennen und uns über unser Anliegen klar sein, um uns dem Gegenüber verständlich machen zu können und damit verstanden zu werden.

Wir sollten andererseits auch wertschätzend mit anderen kommunizieren, ein offenes Ohr für ihre Belange haben, Feedback geben, eventuell Ärger heraushören und übersetzen, aber auch eigene Grenzen deutlich machen und nicht zuletzt über Dankbarkeit Wertschätzung zeigen. 



„Das Wichtigste an Kommunikation ist, zu hören, was nicht gesagt wird.“

- Peter Drucker-



Sollte es trotzdem zu Konflikten kommen:

1. Aus der Situation gehen, am besten mit einem „Stopp“, den Kreislauf beenden und eine Pause anberaumen, in der beide Partner erst einmal auf Abstand gehen können.

2. Selbstreflexion: Was hat mich getriggert und deshalb so emotional werden lassen? Hat dieses Gefühl ursächlich mit meinem Gegenüber zu tun? Was hätte ich mir in dem Moment von meinem Gegenüber gewünscht oder gebraucht? Was kann ich jetzt im Nachhinein noch anbieten?

3. Wieder aufeinander zugehen (am besten an einem anderen Ort, mit Getränk und herzlicher Umarmung).

4. Über die gegenseitigen Erkenntnisse aus der Selbstreflexion miteinander reden.

5. Sich zunächst auf lösbare Probleme konzentrieren.


Du kannst Dir Fragen stellen, wie:

= Was war der Auslöser für den Streit?

= Welcher wunde Punkt wurde dabei bei mir berührt?

= Wie habe ich auf den Auslöser reagiert?

= Woran erinnert mich mein wunder Punkt?

= Macht der andere etwas, was ich mir nicht erlaube?

= Erinnert mich der Konflikt an etwas aus meiner Herkunftsfamilie?

= Welche Gefühle in mir gehören in die Vergangenheit und welche haben konkret etwas mit meinem   

    Partner zu tun?

= Was habe ich gesagt oder getan?

= Wie hat mein Partner darauf reagiert?

= Welch eine Streitdynamik entstand dadurch?

= Was hätte ich mir gewünscht?

= Welche Worte würde ich gern von meinem Gegenüber hören, damit ich wieder offen sein und meinen

    Standpunkt ändern kann?


Und: Wenn Du dabei Unterstützung brauchst, dann schreibe mir oder ruf mich an! Ich begleite Dich gern!


Bücher:

George, Y. (2019). Gewaltfreie Kommunikation mit Kindern: bleibe mit deinem Kind in Verbindung - trotz Wut, Streit und Krisen. München: BookRix GmbH & Co.KG


Haen, N. V. & Hardieß, T. (2015). Gewaltfreie Kommunikation. Offenbach: GABAL-Verlag.


Rosenberg, M. B. (2001). Gewaltfreie Kommunikation: eine Sprache des Lebens (12. überarb. Aufl.). Paderborn: Junfermann Verlag.


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