von Grit Heyse
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22. Juli 2022
„Die Frau ist das „Barometer“ der Beziehung. An ihr lässt sich ablesen, wie es um die Partnerschaft steht.“ - John Gottman - John Gottman hat folgenden interessanten und doch ungeheuerlich anmutenden Ausspruch getätigt: “Nachdem ich ein Paar nur fünf Minuten beobachtet und ihm zugehört habe, kann ich sagen, ob es sich scheiden lassen wird oder nicht.“ Was ist das für ein Typ, der solche Aussagen von sich gibt und offensichtlich an maßloser Arroganz und Selbstüberschätzung leidet? Oder doch nicht? „Seattle, Washington. Ein kleines Apartment mit Panoramablick auf tiefblau schimmerndes Wasser. Es ist der Kanal von Montlake, der eine Meeresbucht mit dem Lake Washington, einem großen See am Stadtrand, verbindet. Seattle liegt im Nordwesten der USA, bis zum Pazifik ist es nur ein Katzensprung. Draußen scheint die Sonne. Eine Frau und ein Mann, nennen wir sie Lisa und Lukas, setzen sich an den Frühstückstisch. Lisa beißt in ein Butterbrot, Lukas blättert in der Zeitung. Die beiden haben erst vor wenigen Wochen geheiratet. Eine Küchenzeile, ein ausziehbares Sofa, Telefon, Fernsehen, Video, CD-Spieler - fast könnte man meinen, das Ehepaar verbringe seine Flitterwochen in einer gemütlichen Ferienwohnung. Wären da nicht die Videokameras an der Wand und die Mikrophone, die sich an ihren Kragen befinden. Tatsächlich sind Lisa und Lukas nicht im Urlaub, sie sind an diesem Ort, um ihre Ehe durchleuchten zu lassen. Sie frühstücken im „Liebeslabor“ des Mathematikers und Psychologen John Gottman von der Universität von Washington.“ John Gottman ist auch ein Paarforscher, der mit einem ganzen Team hunderte Eheleute jeden Alters, über hunderte von Stunden per Video aufgenommen und dieses Material ausgewertet hat. Die langjährigen Beobachtungen und Studien haben es den Eheforschern möglich gemacht, innerhalb kürzester Zeit feinste Diagnosen der jeweiligen Beziehung zu stellen. Das heißt, es ist nicht nur möglich, sondern es ist uns allen möglich, ein Gefühl dafür zu entwickeln. Gutes Streiten, schlechtes Streiten Die Forscher konzentrierten sich in ihrem Liebeslabor vor allem auf den Streit eines Paares. So beobachteten sie z.B. 130 Paare ein halbes Jahr nach ihrer Hochzeit und trafen sich 6 Jahre später wieder mit ihnen. 17 Paare hatten sich unterdessen scheiden lassen und die Trefferquote der Forscher lag bei 83%. Natürlich stellt sich uns nun unweigerlich die Frage, woran die Forscher diese Genauigkeit festgemacht haben. Gibt es soetwas wie gutes oder schlechtes Streiten? Gottman und sein Team haben herausgefunden, dass es nicht auf die Qualität der Verhaltensweisen ankommt, sondern auf das Verhältnis von Geben und Nehmen. Glückliche Paare lassen durchaus auch die Fetzen fliegen, streiten aber in einem Verhältnis von 5:1, heißt, auf einen Wutausbruch, wo Tacheles geredet wird, folgen mindestens 5 Nettigkeiten. Im Gegensatz dazu lautet die Formel bei den anderen Paaren 1:1; auf einen Wutausbruch folgt eine Nettigkeit bzw. noch extremer, es folgt kaum noch ein liebes Wort, ein Scherz oder ein Einlenken, sondern beide Partner setzen jeweils immer noch einen drauf und ziehen sich somit immer weiter nach unten. Beispiel eines negativen Streitmusters: Er (genervtes Gesicht): Was ist los? Sie (sauer): Was soll schon los sein? Es ist ja immer das Gleiche. Hatten wir nicht gesagt, heute machen wir sauber? Aber du hörst mir ja nie zu. Immer muss ich alles alleine machen... Aber das interessiert dich ja nicht. Hauptsache der Herr kann seine Zeitung lesen. Er (verärgert): Vielleicht würde ich ja mitmachen, wenn du es einfach mal entspannt ankündigen würdest. Aber jedesmal springst du dann auf und die ganze Familie muss sofort mitspringen. Immer bist du schon vorher schlecht gelaunt und am Ende haben alle schlechte Laune... Immer der gleiche Ablauf. Ich habs so satt. Sie (aufgebracht): Ach? jetzt bin ich also auch noch schuld? Du kriegst deinen Hintern nicht hoch, immer muss ich ansagen, dass wir mal wieder sauber machen müssen und dann bin ich auch noch die Dumme? Wenn du mal ein bisschen mehr mitmachen würdest, dann bräuchte ich mich ja nicht so aufregen, aber so... Er (spöttisch): Ich wusste gar nicht, dass ich einen Putzteufel geheiratet habe. Sie (wütend): Und ich hätte gern früher gewusst, dass du so eine faule Socke bist. Beispiel eines positiven Streitmusters: Er (genervt): Schatz, was ist los? Sie: Ich ärgere mich. Er: Worüber denn? Sie (verärgert): Wir haben uns doch vorgenommen heute sauberzumachen. Nun bin ich so lustlos bei dieser Hitze, derweil du auch keine Anstalten machst loszulegen. Jetzt ärgere ich mich. Aber eigentlich ärgere ich mich über mich selbst und die Situation. Er (nachdenklich): Hm. Lust habe ich ehrlich gesagt wirklich nicht. Es muss doch auch nicht gleich sein. Wir könnten doch erst einmal spazieren gehen und heute Abend, wenn es sich abgekühlt hat, saubermachen. Sie (erstaunt): Willst du damit sagen, dass bei mir immer alles sofort sein muss? Er (lächelnd): Natürlich nicht, ich meine nur, wir müssen es doch nicht übers Knie brechen, lass es uns heute Abend entspannt zusammen erledigen. Sie (lächelnd): Ja, okay, lass es uns so herum machen. Du findest, der Dialog wirkt unecht und ein Paar, dass sich so richtig in Wut und Rage redet, könnte niemals so ruhig miteinander streiten? Und doch gibt es sie. Paare, die noch nach zig Ehejahren liebe- und respektvoll miteinander umgehen. „Diese Menschen „lassen einen Ehestreit wie einen Scherz aussehen“ , schwärmt Gottman und bezeichnet sie bewundernd als „marital masters“ , als Meister der Ehe.“ Doch was machen sie anders, als die anderen Paare? Die Forscher haben herausgefunden, dass es hier um das gegenseitige EINFÜHLUNGSVERMÖGEN geht. Während sich die zufriedenen Paare mehr auf den Inhalt der Auseinandersetzung konzentrierten, es ihnen also um die Sache ging und sie versuchten, das Problem zu lösen, hatten die unzufriedenen Paare meist schon lange die Haltung „Es ist ja eh zwecklos, das hatten wir schon hundert Mal und es hat sich nichts verändert.“ eingenommen und schoben das Problem eher auf die Persönlichkeit des Partners. Sie glaubten also zu wissen, was der Partner denkt und hörten ihm nicht mehr zu. Sie redeten also nicht MITeinander, sondern aneinander vorbei. Die 4 apokalyptischen Reiter Gottman nannte die 4 Faktoren, die seiner Meinung nach DAS GIFT einer Beziehung sind und sie auf Dauer zerstören können - die 4 apokalyptischen Reiter. Diese heißen: Kritik, Verteidigung, Verachtung und Rückzug.